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Wie spät ist es eigentlich? (German Writing)

Wie spät ist es eigentlich? (German)
Mein Mondmensch
[2015 - 2016]
„Freundschaften sind wie Sehnsüchte. Toll, groß, absolut gigantisch.
Und wenn sie dich erstmal gepackt haben, dann lassen sie dich nicht mehr los.
Manchmal nie mehr.“
[Absolute Giganten, 1999]
In der Nacht, ein einstiger Lieblingsort, Januar 2017
Manchmal erinnere ich mich an Dich. Meist ist es der Mond, der Regen oder vielleicht der Geruch von Schnee, der mir wieder vor Augen führt, dass nichts so wirklich in Vergessenheit gerät, schon gar nicht wir, die wir doch die besten Freunde füreinander gewesen waren, die sich einer überhaupt wünschen könnte. Wir, neben denen all die anderen Begegnungen eines Lebens vielleicht vieles gewesen sein mögen, doch nie genug. Nur mit Dir zu sein, hatte sich einst danach angefühlt, als würde ich am ganzen Körper umarmt werden. Eine Seele die andere, fest in den Armen. Und das könnte es wohl kaum ein zweites Mal geben, oder?

Geblieben ist mir heute die Erinnerung an unsere Spaziergänge an lauen Frühlings- und Sommerabenden, die nicht selten an einen Restaurantbesuch anschlossen, den wir uns zwar kaum leisten konnten und doch nicht davon ablassen wollten. Den Kellner verließen wir nach einer herzhaften Verabschiedung, machten uns im Licht der Straßenlaternen unter dem jetzt nachtblauen Himmel zusammen auf den Weg nach Hause. Nicht selten waren wir dann zum Scherzen aufgelegt, vor allem als, eine Kerze zwischen uns, einer der Kellner einmal seine Hand auf meine Schulter legte, so als wolle er mir zu meinem Fang gratulieren. Oft hielten wir noch einmal inne, irgendwo zwischen Aufbruch und unserem Zuhause, standen schweigend minutenlang Seite an Seite und sahen uns die Silhouette der Stadt an. Still waren wir dann gewesen, doch nicht stumm. Wenn es heiß war, zu heiß für die Stadt, waren wir manchmal an den See gefahren. Dann hattest Du reglos und still auf dem Rücken vor mir im Wasser getrieben, Dein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem meinen entfernt. Und wenn wir wieder auf der Wiese lagen, hatte sich nicht selten unsere nackte Haut scheinbar zufällig dann und wann berührt, während wir uns von Freunden oder der Arbeit erzählten. Ein Alltag, der kaum wie einer schien, waren darin doch häufig diese bestimmten, flüchtigen Berührungen, die wir scheinbar nicht bemerkten und doch von Intimität und Zweisamkeit zeugten. Ich erinnere mich auch daran, wie ich Dich einmal lachend und immer schneller und schneller, ich auf dem Rad, Du auf Deinen Inlinern, entlang der Gleise durchs Industriegebiet gezogen hatte. Als wir wieder Zuhause angekommen waren, ich die Haustüre für uns aufschließen wollte, hattest Du mich mit Tränen in den Augen gefragt, ob wir das denn wieder einmal machen könnten. So, als wäre das etwas ganz Besonderes und Einmaliges gewesen. Vermutlich aber war es das auch, hatten wir doch beides zuvor nie wirklich Freunde gehabt, auch wenn uns das, bevor es uns gab, nie wirklich aufgefallen war. Mit Sehnsucht denke ich daran zurück, wenn wir spät in der Nacht und über einen ganzen Parkplatz hinweg ein vertrautes Lächeln miteinander austauschten. Wenn wir in eiskalten Nächten gemeinsam einsam durch den Schnee stapften und heimlich auf Baukräne hinaufkletterten, um den Mond wieder frei vor Augen zu haben. Du bist es nie müde geworden, mich nach meinen Seufzern zu fragen. Du bist überhaupt der einzige Mensch gewesen, der mich wirklich nach etwas gefragt hatte.

Ich erinnere mich auch an den Regen vor unserem Fenster, das schönste Lied der Nacht, das wir je gehört hatten. Später dann Vogelgezwitscher in der Morgendämmerung, Musik, die leise und doch deutlich und ungemein schön aus dem Inneren eines unbekannten Autos zu uns drang, während Du im fahlen Licht vor mir am Fenster gestanden hattest, fort zur Arbeit musstest und ich Dich schon jetzt vermisst hatte. Ich vermisste Deine Haare und Dein Lächeln im Wind, Sommersprossen, die die Sonne an kalten Wintertagen zum Vorschein brachte, Gute-Nacht-Umarmungen zwischen den Türen und die orangenen Lichter der Industrieanlagen am Horizont, die wir auf unseren Heimfahrten aus der Ferne gesehen hatten.

Dann, unseren ersten Streit und überhaupt all Deine Tränen und Schluchzer, die damals viel zu häufig durch die Wände zu mir drangen. Auch an die schlechten Tage erinnere ich mich, wenn wir beide so tief in uns versunken waren, dass selbst Zweisamkeit lange weilen musste, bis wir zumindest wieder ein wenig lächeln konnten. Darin, eine drei-Minuten-Umarmung auf dem Parkplatz des Supermarktes, Dein Körper fest an dem Meinen. Ob es an Deiner Größe lag, dass Du Dich so gut angefühlt hattest? Ich erinnere mich daran, dass wir, als es schließlich das erste und zugleich letzte Mal für uns Winter geworden war, über den Lichtern der Stadt in der Kälte saßen und ich mich unendlich fern und verloren fühlte. Selbst von Dir. Ein wenig später erst der Ruf einer Eule im dunklen, einsamen Novemberwald, dann Regentropfen auf dem Dach der Bushaltestelle, Du darin an meiner Seite, den Kopf fest an meiner Schulter. "Wie spät ist es eigentlich", hast Du irgendwann in den Regen hineingefragt, auch wenn Du sicher die ganze Nacht mit mir hier sitzengeblieben wärst. Nicht, weil Du das hättest müssen, sondern weil Du es selbst gewollt hättest, solange es nur dabei helfen könnte, die Schatten zu vertreiben. Schatten, die vielleicht trotz all unserer Versuche irgendwann größer als wir beide wurden, in unsere Leben hineinreichten und uns darunter begruben. Nur, zum ersten Mal, nicht länger gemeinsam, sondern ein jeder für sich.
Ausblick von unserem Dachfenster, April 2016
Ob Du davon weißt, dass ich Dich wiedergesehen habe? Du hast am Bahnhof gewartet und ich bin keinen Meter entfernt an Dir vorübergegangen. Nach all der Zeit, den Monaten und Jahren. Und ich hatte doch gehofft, dass Du mich nicht siehst, auch wenn ich nicht wusste, weshalb. Seltsam, dass Du dann ausgerechnet ganz vorne gesessen hast und ich Dich doch zwischen all den anderen Menschen hindurch ansehen konnte. Als Du ausgestiegen bist, nur wenige Stationen entfernt von mir und meiner Bleibe, hast Du einsam ausgesehen. Du, alleine über die Straße gehend, jetzt mit dem Rücken zu mir. Aber was heißt das schon, was weiß ich denn heute noch von Dir. Vielleicht nichts weiter, als dass sich mein Herz noch erinnern kann und ich es schon viel zu lange nicht mehr hatte schlagen hören.

"Wieso hast Du mich nicht angesprochen?", "Es gibt zwei Menschen auf dieser Welt, die mich berühren, mein Herz zum Schlagen bringen. Du bist einer davon."
[2019/01/26]

Ich glaube, fern sind wir uns schon lange. Dass wir in ganz anderen Welten leben und nichts etwas daran ändern könnte, nicht einmal wir selbst, wenn wir es denn wollten. Und doch erinnere ich mich manchmal. An Dich, meine einzige Freundin. Dass mir früher etwas gefehlt hatte, das ich zwar in Dir fand aber doch wieder verlor, hatte ich erst durch uns erfahren.
Winterkälte und Pulverschnee, und darin Deine Sommersprossen, Januar 2017
Epilog

Sie
Ich mag die Vorstellung, dass wir beide hier auf dieser Welt sind und all das tun, weil wir eigentlich und insgeheim zusammengehören. Ich mag die Vorstellung, dass all die Jahre vergangen sind und wir uns selbst, und einander den Schmerz, von dem wir vielleicht einmal glaubten ihn verdient zu haben, zufügten, weil wir schlicht unfähig waren innezuhalten, und endlich damit aufzuhören voreinander wegzurennen. Ganz gleich in welch verschiedene Richtungen es uns auch getragen haben mag. Ich mag sie, diese Vorstellung, denn sie lässt mich jeden Tag weitergehen, einen Schritt vor den anderen setzen. Selbst wenn ich jetzt, hier und heute, ruhelos immer weiter und weiter umherstreife und mich dabei mehr und mehr verliere, ist mir das doch tausendmal lieber als stehenzubleiben und einzusehen, dass nicht einmal wir beide genug waren. Denn was bliebe mir dann, hier zwischen all der anderen?

Er
An manchen Tagen wünschte ich mir nichts mehr als dass ich zurückkehren könnte, in diese stille Novembernacht. Die Türe zu unserem ersten gemeinsamen Zuhause würde ich wie hunderte Male zuvor aufschließen aber nicht länger stumm und nutzlos vor Deiner verschlossenen Türe stehen bleiben, sondern endlich einmal anklopfen, und Dir sagen wie unendlich leid mir all das tut, was Dir, und uns widerfahren ist. Und dass wir beide doch gerade deshalb weitermachen müssen; denn irgendetwas muss uns doch zusammengeführt haben, oder? Wie Herbstlaub im Wind. Zusammen würden wir hinausgehen in die Nacht, voller Worte und doch noch ganz stumm von all der Wut in unseren Mägen - auf uns, und das Leben. Auf der alten Eisenbahnbrücke, still und voreinander im Regen, würde ein Blick in Dein traurig-schönes Gesicht genügen und wir beide wüssten ganz ohne Worte, dass es gut ist. Denn das ist es doch was zwischen zwei Menschen ist, oder? All das wofür es weder Worte gibt, noch verlangt.

Weder Du noch ich wüssten, dass ich es bin der gerade hier und jetzt auf dieser Brücke im Nieselregen losgelassen habe. In einer Sekunde eines Lebens Atemwolken in Novemberluft, in einer anderen Stille.

Aber die Welt läuft immer weiter und weiter, und das musst Du jetzt auch. Ohne zurückzusehen. Lauf, lauf als wäre der Teufel hinter Dir her. Denn die Zeit wirft ihre Schatten.
Die alte Eisenbahnbrücke, Januar 2020
Wie spät ist es eigentlich? (German Writing)
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